Bukit Lawang

Nachdem Sarah und ich letztes Wochenende in Yogyakarta verbracht haben, zeigte ich ihr die Woche über Jakarta. Pflichtbesuche wie diverse Malls, Massage oder auch mein geliebtes Santika standen auf dem Programm. Wir besuchten den Alpenstammtisch und freuten uns über kostenlose Spätzle, um anschließend noch im Social House bei toller Atmosphäre den Abend ausklingen zu lassen.

Den Freitag hatte ich mir frei genommen, damit wir Donnerstags schon nach Medan, Sumatra, fliegen konnten. 3 Tage Dschungel und Orang Utans standen vor uns. Nur wir, unser Guide und diese wunderbaren, haarigen Kreaturen. Haidir, unser Guide, holte uns am Flughafen ab und wir fuhren mit ihm und ein paar seiner Freunde noch in die Stadt etwas essen. Im Anschluss ging es nach Bukit Lawang, dem letzten Außenposten vorm Dschungel. Morgens um acht gab es noch ein ordentliches Frühstück und dann ging es los in den Dschungel. Sarah hatte in Weise Voraussicht sehr leicht gepackt, während ich meine geliebte Fotoausrüstung auf dem Rücken hänge hatte. Bei 30 Grad und gefühlten 300% Luftfeuchtigkeit stapften wir die Hügel hoch und runter, vorbei an von den Bewohnern des Dorfes angezapften Gummibäumen, über Riesenameisen und Termitenzügen und Richtung der sehnlichst herbei gewünschten Menschenaffen. Haidir war nicht allein erschienen, sondern hatte einen weiteren Guide, Andi, und einen Porter mitgenommen. Andi kümmerte sich, in etwas Abstand zu uns, um eine chinesische Touristin, die alleine unterwegs war. In kurzen Abständen imitierten die beiden Guides die Rufe der Orang Utans, um so an die Aufenthaltsorte der Tiere zu gelangen. Schon nach kurzer Zeit kamen wir zu den ersten drei Orang Utans. Eine Mutter mit ihrem Kind und ein weiterer Affe hingen weit über uns in den Bäumen. So gut es ging, versuchte ich die Szene in Bilder zu fassen, was leichter gesagt als getan war, da die Affen natürlich nichts besseres zu tun hatten als still in den Bäumen zu hocken und sich für mich in Pose zu werfen. Gleichzeitig musste man sich hüten, unter die Orang Utans zu kommen, denn bei ihren Schwüngen durch den Dschungel hinterließen sie eine Spur der Verwüstung und der ein oder andere Tropfen floß auch recht gern. Leider waren die Lichtbedingungen während des gesamten Tracks sehr schlecht und aus Rücksicht vor den Tieren verzichtete ich auf den Blitz. Daher haben die meisten Bilder einen leichten Farbstich und hohes Rauschen (bemerkt hoffentlich niemand ;) ). Kaum waren wir weitergezogen, trafen in auf eine Familie von Gibbons in der Entfernung. Ich glaube es waren Weißhandgibbons.
War der Track am Anfang noch leicht begehbar und mit einem schweren Bergpfad vergleichbar, änderte sich das Terrain abrupt. Der Boden wurde lehmig und rutschig, die Steigung stark und man musste sich teilweise wirklich an Lianen hochziehen, um dem Track folgen zu können. Wie ihr schon bei Facebook sehen konntet, war ich innerhalb von wenigen Minuten von oben bis unten vollgeschwitzt. Haidir hatte uns Zwischenzeitlich verlassen, die Chinesin hatte ihren “Boyfriend” verloren, einen kleinen Stoffbären. Warum man diesen mit in den Dschungel nimmt, konnte niemand beantworten, aber sie bestand darauf, den Track zurückzulaufen und nach dem Bären zu suchen. Laut fluchend und sich vielmals bei uns entschuldigend ging Haidir mit ihr (Haidir nannte sie unentwegt perempuan gila, verrückte Frau) los.Nachdem wir an einer weiteren Gruppe Orang Utans vorbeigezogen waren, kamen wir in das Gebiet der berüchtigten Mina. Mina ist DIE Orang Utan Dame in Bukit Lawang. Jeder Guide fürchtet sie. In Gefangenschaft groß geworden hat sie keinerlei Scheu mehr vor Menschen und sucht, aus Nahrungsgründen, auch deren Nähe. Dabei wir sie auch zu Weilen aggressiv und knapp 80 Attacken gehen momentan auf ihr Konto. Auch unser Porter konnte uns eine riesige Narbe von der Mitte seines Kopfes über seine Stirn zeigen, die von einem Mina Biss herrührte. Diese Mina wollten wir jetzt also suchen und sie mit Bananen ruhig stellen, damit sie unsere Rucksäcke ignoriert. Die Anweisungen unseres Guides waren klar: Ganz ruhig bleiben, nicht reden, langsam bewegen und Rucksäcke geschlossen halten. Nachdem wir zwei ihrer Aufenthaltsorte passiert hatten, ohne auf Mina zu stoßen, sollten wir auf einer Lichtung warten, während Andi und der Porter sie suchen gingen. Sarah und ich waren gerade dabei, unseren Moskitoschutz aufzufrischen, als Sarah hinter uns in 3m Entfernung eine Orang Utan Dame mit Baby im Arm entdeckte. Ich rief schüchtern nach den Guides und Andi sah aus der Entfernung zurück. Plötzlich rannten die Guides auf uns zu, schrien uns an “GET YOUR BAGS”, “get your bags” und ignorierten sämtliche uns vorher gegeben Anweisungen. Meine Tasche stand vor einem Baumstamm, die Kamera guckte fröhlich empor und Minas Finger waren buchstäblich 5cm vor dem Griff, als ich den Rucksack zu packen bekam und ihn dem sicheren “Tod” entriss. Im gleichen Moment hatte der Porter uns erreicht und fuchtelte wild mit einer Bananenstaude vor Minas Augen herum. Sie nahm sich ihre Bananen und Sarah und ich konnten uns in sichere Entfernung bringen. Verschüchtert standen wir am Rand der Lichtung, während der Porter mit der Riesennarbe, die ihm selbige Dame zugefügt hatte, mit Angst in den Augen um sie herumspazierte und ihr neue Bananen anreichte. Nach den obligatorischen Fotos wollten Sarah und ich schnellstmöglich Land gewinnen, nur der arme Porter musste bleiben, um sie an unserer Verfolgung zu hindern. 30 Minuten und mehrere anstrengende Anstiege später waren wir in “Sicherheit” und konnten unser Mittagessen aus mitgebrachtem Nasi Goreng und Ananas genießen. Unsere Wasservorräte, immerhin 3L, waren zu diesem Zeitpunkt schon lange verbraucht und wir baten darum, irgendwie neues Wasser zu erhalten. Gut vorbereitet hatten natürlich weder Andi noch der in der Zwischenzeit zu uns gestoßene Guide welches dabei. Also füllten wir unser Wasser nach einem halsbrecherischen Abstieg an einer Quelle auf und ich warf eine der aus Deutschland mitgebrachten Chlortabletten in die Flasche, um zumindest etwas Reinigung zu erzielen. Auf unserem letzten Abstieg fing es später passender Weise auch noch an zu regnen, wodurch wir im strömenden Regen einen Matsch- und Lehmabstieg wagen durften, der schlimmer kaum sein konnte. Damit aber nicht genug, man hatte sich dem Wetter angepasst und so durften wir auch noch an der Seite eines Wasserfalls auf glitschigem Stein die letzten Meter zum Camp herunterkletten. Dabei viel Sarah zweimal beinahe herunter, einmal kurz vorm Fall von Andi aufgehalten und einmal fand sie doch noch Halt. Geistig vollkommen hinüber schafften wir die letzten Meter ins Camp.

Leider schien der Regen nicht enden zu wollen und so verbrachten wir die nächste Zeit in unserem Zelt und warteten auf etwas Sonnenschein. Nach einem wärmenden Tee klagte Sarah zum ersten Mal über Bauchschmerzen. Das später folgende Abendessen ließ sie aus und auch danach wurde es nicht besser. Gegen 19h musste sie sich das erste Mal übergeben. Die Prozedur wiederholte sich die nächsten zwei Stunden des öfteren, doch als alter Kotz- und Diarrhoe Spezialist machte ich mir keine größeren Sorgen. Damit sie trotz der Übelkeit irgendwie an Nährstoffe gelangte, bereitete ich ihr eine Trinkflasche mit Elektrolytlösung vor, an der sie zwischenzeitlich immer mal wieder nuckelte. Ich versuchte mir per Handy über Tiwuk Informationen zukommen zu lassen, was es denn sein könnte, doch trotz anwesendem Arzt bei Tiwuk war eine Ferndiagnose schwer. Während ich in Badehose und ohne Shirt im Zelt sitzen konnte, war Sarah bitter kalt. Trotz Pulli, zweier Decken, einem Handtuch und dem (dünnen) Schlafsack fror sie zitternd. Wir waren zu diesem Zeitpunkt noch mitten im Dschungel Sumatras. Als sie mir dann sagte, dass sie ihre Finger nicht mehr spüren würde, traf ich eine Entscheidung und rief Haidir herbei. Wir müssen Sarah ins Krankenhaus bringen. “Jetzt? Von hier? Wir sind mitten im Dschungel. Es ist stockdunkel. Das wird schon. Lass mich mal ihre Temperatur fühlen.” Er nahm Sarahs Füße und erstarrte. Anschließend fühlte er ihre Hände und sein Gesicht wurde blass. Schnell verließ er das Zelt und machte ein kurzes Telefonat. Während Haidir die anderen Guides am Zeltplatz holte, fing ich an unsere Sachen irgendwie wieder in unsere Rucksäcke zu stopfen. Ein Gesicht erschien im Zelteingang und Sarah setzte sich auf. Der unbekannte Guide tastete sie ab und fragte sie nach ihrem Befinden. Dann fing er an etwas von einer Malariainfektion zu erzählen, wodrauf ich hin hinwies, Sarah sei seit 2 Tagen in Malariagebiet, sie könne unmöglich schon erkrankt sein. Die anderen Guides nahmen unsere Sachen und wir verließen das Zelt. Jemand wollte Sarah stützen, doch sie murmelte noch “Ich kann alleine gehen”, bevor sie neben dem Feuer zusammenbrach.

Dann ging alles ganz schnell. Ein Indonesier packte sich Sarah und warf sie sich auf den Rücken. Wir liefen so schnell es ging durch den Bach, an den anderen Zelten vorbei, unsere Sachen hinter uns lassen. Irgendjemand würde sie schon mitnehmen. Es ging ein paar Minuten querfeldein, am Dschungel entlang, bis wir an einen reissenden Fluss gelangten. Irgendwoher tauchte ein riesiger Reifen auf, ich schmiss mich darauf und Sarah wurde auf mich gelegt. Während ich versuchte, meinen Kopf über Wasser zu halten und Sarah irgendwie trockend, stammelte sie unentweckt, sie könnte ihr Beine nicht mehr fühlen. Die Indonesier waren in eine Diskussion verwickelt, mir ging alles nicht schnell genug, also brüllte ich einfach “go go go” in ihre Richtung. Haidir schnappte sich den Reifen und zog von vorne, zwei Indonesier schoben von hinten. Immer wieder tauchte Haidir in den Fluten unter oder rutschte Weg, doch wir erreichten bald das andere Ufer. Einer der Indonesier nahm Sarah auf den Rücken und wir liefen den schmalen, in den Fels gehauen “Weg” direkt am Fluss entlang. Immer wieder rutschte ich weg oder stolperte über am Boden liegende Steine und Sarah beklagte sich weiterhin über fehlendes Gefühl in Armen und Beinen. Alle 2-3 Minuten wechselten wir uns drei mit dem Tragen ab, während die anderen beiden hinter dem Träger liefen und versuchten mit Taschenlampen so gut es ging den Weg zu leuchten. Rechts von uns ging es inzwischen 10m in die Tiefe, ein falscher Schritt und man wäre wieder im Fluss gelandet. Rauf und runter ging es, über Holzbalken und Trampelpfade, bis wir ein kleines Dorf erreichten. Dort gab es leider kein Auto, dafür einen Roller. Haidir fuhr, ich saß hinten und quetschte Sarah zwischen uns ein. Ein paar hundert Meter konnten wir fahren, dann ging es wieder ins Gelände. Eine steile Treppe führte nach oben, Sarah wollte nicht mehr getragen werden, ich sagte nur “ist klar” und buckelte sie auf dem Rücken. Während ich keuchend die Treppe hochrannte, beschwerte sich Sarah, ich solle sie gefälligst bequemer tragen. Wir rannten weiter und weiter und erreichten irgendwann Bukit Lawang. Hier stand direkt ein Wagen bereit. Sofort wurden mir vom Medizinmann “lokale Medikamente angeboten”, irgendwelche grünlich und rosafarbenen Kügelchen. Da ich Sarah gerne atmend zu einem Arzt bringen wollte, verneinte ich seine mehrmaligen Aufforderungen, ihr doch endlich seine Mittelchen zu verabreichen. Wir fuhren zum lokalen “Krankenhaus”, aber die dortigen Bedingungen ließen die zweistündige Fahrt nach Medan wie die sicherere Variante erscheinen und so gaben wir Sarah eine trockene Hose und und Shirt und fuhren los nach Medan.

Während der Fahrt konnte Sarah endlich wieder ihre Arme und Beine spüren und die Anspannung legte sich ein wenig. Nachdem ich Sarah beim Dorfarzt das Kotzen “verboten” (los los los wir müssen weiter, hier ist eine Kotztüte) hatte, nutzte Sarah zu meiner großen Freude letztere auch während der Fahrt fleissig weiter. Meine Versuche, ihr irgendwie Elektrolytlösung zukommen zu lassen, waren zum Scheitern verurteilt und irgendwann verweigerte sie das Wasser komplett. Weil Sarah halbtot gegen die Fensterscheibe gelehnt im Auto lag und ich nicht wusste, ob es eine gute Idee wäre, sie schlafen zu lassen, vergewisserte ich mich alle paar Minuten, ob sie noch anwesend sei. Gegen Mitternacht waren wir endlich am Krankenhaus angekommen. In der Notaufnahme wurde Sarah auch sofort “untersucht”. Man fragte, was sie für Symptome habe, maß ihr Fieber und damit war die Sache für den Doktor anscheinend gegessen. Blut- und/oder Stuhluntersuchungen, wie es der Botschaftsarzt in Jakarta bei jeder Routineuntersuchung macht, schienen bei ihm nicht sonderlich gefragt. Ich habe es zwar nirgends praktiziert gesehen, aber ich bin mir sicher, dass der gute Mann den Aderlass zur Heilung noch anwendet. Die Krankenschwester legten der Spritzen liebenden Sarah den Zugang zum Tropf und ließen uns dann allein. Für den Rest der Nacht, denn die Professionalität dieses Krankenhaus zeigte sich dann auch dadurch, dass ich die Nacht über den Tropf kontrollieren durfte und dann die Schwester holen musste, wenn dieser mal wieder nicht mehr tropfte. Zwischenzeitlich hatte ich auch den Notfalltransport nach Medan bezahlt. Gegen 3h kam Haidir ins Krankenhaus. Er hatte in Bukit Lawang auf unsere Sachen gewartet und diese dann mit Andy zusammen auf dem Roller nach Medan gebracht. Dabei war Haidir sogar noch auf der Fahrt eingeschlafen und die beiden zeigten stolz ihre Fahrtschrammen.

An Schlaf war in dem auf 8° runtergekühlten Krankenhaus nicht zu denken. Ich organisierte Sarah eine zweite Decke und stahl mir selber eine, um in den nassen Sachen nicht komplett zu erfrieren. Als sich Durchfall ankündigte, fragte ich die Krankenschwester erneut nach dem Arzt, doch diese dachten gar nicht daran, war dies doch ihre Gelegenheit zur Selbstdiagnose. Während ich nach Sarah schaute, verschwand die Krankenschwester kurz, nur um mit diversen Tabletten und Mittelchen am Krankenbett aufzutauchen. Stolz fuchtelte sie mit Tabletten vor meiner Nase herum und ignorierte meine Nachfragen. Als ich dann recht fordernd verlangte, doch endlich über die Medikamente aufzuklären, konnte sie mir nur “gegen Durchfall” sagen, woraufhin ich ihre Behandlung abwies. Um Acht wurde Sarah ohne jede weitere Untersuchung entlassen und wir begaben uns in ein Hotel um die Ecke, wobei Sarah sich kaum auf den Beinen halten konnte. Kaum aufs Bett gefallen, war Sarah eingeschlafen, während ich noch schnell bei KFC etwas aß. Wir wachten erst gegen Abend wieder auf. Sarah ging es inzwischen ein wenig besser. Sie konnte zumindest wieder laufen, auch wenn sie weiterhin wirklich schwach war. Um etwas zu Essen suchten wir nur kurz die benachbarte Mall auf, um anschließend sofort wieder ins Bett zu gehen. Sonntag hatte sich Sarah zumindest soweit gefangen, dass sie wieder feste Nahrung (Pommes) zu sich nehmen wollte und wir konnten Montag in der Früh den Rückflug nach Jakarta wahrnehmen

Ein Kommentar

  1. Bmax
    Posted 14. Februar 2011 at 08:11 | Permalink

    Schön, wie sehr sich Sarah gefreut haben muss, dass auch ein Krankenhausbild von ihr online ist…:)